Rumänien, Bukarest: Zeitreise, Standausflug und Bergweltfahrt

Ich habe noch von keinem anderen Staat gehört in dem das Parlament einen Palast hat. Hier steht ein riesiger Block von Haus, das zweitgrößte (ich vermute Regierungsgebäude) der Welt nach dem Pentagon. Allerdings kann ich das Gefühl, dass das eine riesige Verschwendung von Ressourcen und Arbeitseinsatz war nicht abschütteln. Julies Vater hat unter dem Regime auch beim Bau helfen müssen. Daher muss ich dieses Gebäude auch besichtigen. Ja es ist groß, aber ich finde alte Schlösser und Bauten wie die Pyramiden immer noch deutlich eindrucksvoller, was die Bauleistung betrifft, denn dieser riesige Klotz wurde in den 80ern und 90ern mit Hilfe von viel schwerem Gerät gebaut. Der amüsanteste Teil dieser Besichtigung ist wohl, dass mir noch nie ein Tourguide untergekommen ist, der so despektierlich über das gesprochen hat, was ihm Arbeit gibt. Seine vagen Antworten auf gestellte Fragen unterstreichen sein allgemeines Desinteresse nur noch. Ein weiteres interessantes Detail ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendwer irgendwelche Festivitäten hier halten will, nachdem ich die Toiletten gesehen habe. Denn schon als ich zwei Stockwerke Treppen hinabsteige nimmt der stechende Geruch von Urin bis zu einem betäubenden Grad zu. Ich weiß nicht wie lange es her sein muss, dass jemand diesen Toiletten Aufmerksamkeit geschenkt hat, obwohl der Putzwagen demonstrativ positioniert ist.

 

Julies Vater ist mein Geleit für den Tag, denn es ist mir annähernd unmöglich mich im öffentlichen Nahverkehr selbstständig umzutun, eine Touristenkarte konnte bisher noch nicht für mich aufgetrieben werden und auch so scheint der Sicherheitsaspekt meine Gastgeber zu veranlassen mich lieber nur in Begleitung durch die ausgedehnte Stadt zu schicken. Am Vortag hatte ich Julies Vater den Gefallen getan ihn zu einer Flugshow zu begleiten und stundenlang in brütender Hitze zu stehen und schon ganz billigend nicken, aber für den Großteil der Zeit denken musste, dass diese ganze Show schlichtweg ziemlich viel Sprit zum Spaß verfliegt. So habe ich mir heute doch wohl irgendwie verdient. So geht es nach dem Palast ins Geschichtsmuseum mit einer ‚Schätze Chinas‘ Sonderausstellung, in welcher mich die Terrakottasoldaten veranlassen, einen Besuch in ihrer Heimatstadt nächstes Jahr im Sommer ins Auge zu fassen. Nach einer kurzen Stärkung mit leckeren rumänischen Nachtischen und frischem Grapefruitsaft geht es noch ins Kunstmuseum. Die Abteilung lokaler Künstler gefällt mir sehr gut, doch durch die Kirchenkunst schlendere ich nur.

Je mehr ich von Bukarest sehe desto mehr verstehe ich Julies Aussage über eine Reise in die Vergangenheit. Man sieht kaum Häuser, die nicht bis kurz vor dem Verfall heruntergekommen sind. Egal ob in der Innenstadt oder in den Außenbezirken.

Ob es hauptsächlich an der Hitze liegt weiß ich nicht, aber mir fällt auf wie griesgrämig der Großteil der Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln dreinschaut. Doch abends sind die Menschen auch zu später Stunde mit ihren Kindern auf der Straße und den Spielplätzen und das auch unter der Woche. Tagsüber vermeidet auch jeder der es vermeiden kann sich in der aufgeheizten Stadt aufzuhalten und so wird das Sozialleben eben auf den Abend verschoben. Und ich war in noch keiner Stadt in welcher mir die Anzahl von Sexshops und Wettbüros so aufgefallen wäre.

An einem Abend feiert einer von Julies Freunden bei einem Umtrunk in der „100 Biere der Welt Bar“. Ich entdecke belgisches 9% Bier mit Kirschengeschmack und stolpere in eine politische Diskussion mit einem Medizinstudenten welche, wie mir von einem Freund in Schottland prophezeit, bei fragwürdiger Einstellung zu Sinti und Roma endet.

 

Bei dem Museumserkundungstag mit Julies Dad bekomme ich die Idee aus dem überhitzen Bukarest ans Meer zu flüchten. Julie nimmt die Idee auf und macht eine richtige Sache draus. Überraschender weise bekommt Julie sogar bei ihrer Praxiseinheit im Krankenhaus von Mittwoch an, für den Rest der Woche, frei und so geht es für uns für zwei Nächte nach Vama Veche. Eine Busfahrt mit ausgesprochen grummeligen Fahrern bringt uns nach insgesamt 5h ans Ziel. Hier tummelt die rumänische Jugend sich. Nicht einmal jeder Zehnte ist von anderswo. Die Unterkünfte sind schlicht aber billig, man muss sich durchfragen, denn weder Hausnummern noch Unterkunftsnamen erleichtern einem die Suche. Die Bars spielen Musik die ihren Namen verdient und die Restaurants haben herrliche Seafoodgerichte. Abends wird der Stand beschallt, da gibt es Feuertänzer und Menschen die im angetrunkenen Zustand in Gräben fallen, die am Frühabend nach einem ordentlichen Regenschauer zum Ablaufen des Wassers nötig waren. Nachts kühlt es angenehm ab, eine ausgesprochene Verbesserung gegenüber der Hauptstadt. Und auch das Meer hat die perfekte Badetemperatur. An unserem zweiten Abend gibt es dann die ersten Konzerte des am Wochenende anstehenden Festivals. Eine Bühne wurde auf den Strand gestellt, man sitzt davor und lauscht den Wellen und den Folkbands. Am Abend kommen dann zwei einheimische Rockbands. Julie und ich treffen zwei Reisende aus der Schweiz und der Abend endet für uns beide nachdem wir am Strand den Sonnenaufgang bei Ravels Bolero angeschaut haben.

Am Tag vor meinem frühen Abflug nehmen Julie und ich noch den Zug in die Berge. Die Landschaft ist herrlich, die Schlösser hübsch und das Essen hervorragend. Julie meint beim nächsten Besuch müssen wir dringend ein paar Tage nahe der ukrainischen Grenze in den Drakulabergen verbringen. Den Vorgeschmack den ich bei unsrem Tagesausflug in den Bergen bekomme stimmt ihr zu. Als Erinnerung trage ich ein Lammfell mit nach Hause um in schottischer Kälte ein nützliches Souvenir zu haben.

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