Schweden, Umea - Bilderbuchlandschaft, gender equality & Birkenstadt

Schweden begrüßt mich mit dichtem Nebel und Temperaturen kurz vor dem Gefrierpunkt. Jackie und Regina sind gekommen um mich abzuholen und ich zweifle schon fast, ob meine gesammelten Kleidungsstücke übereinander getragen warm genug sind für dieses Wetter. Wir haben zwei Fahrräder für drei Menschen und mein Gepäck. Ich bekomme Reginas Rad und Jackie und sie teilen sich das von Jackie. Wie sich im Laufe meiner Zeit hier herausstellt, ist Jackies Rad das nur zu gut gewohnt und überraschend zuverlässig.

 

Der Flug mit SAS war ein Erlebnis. Von Amsterdam nach Stockholm und von dort nach Umea. Am Flughafen stelle ich fest, dass meine Sonnenbrille noch bei Lotta in der Tasche sein muss. Nicht gerade ideal, aber daran ändern kann ich jetzt nichts, muss die Arme sie mir also nach Polen nachschicken. Ich checke ein und wähle eine Plätz in der letzten Reihe. Die Check in Maschine druckt mir gleich auch noch den Fluggesellschaftsgepäckbändel. Wie man den jetzt selbst anbringt ausbaldovert und dann nur mit kleiner Tasche durch die Sicherheitskontrolle. Im Flugzeug sitzt in der letzten Reihe auf der linken Seite ein japanisches Pärchen mit Baby. Die linke Seite hat zwei Sitze, die rechte drei. Ich sitze alleine rechts. Also biete ich der jungen Familie an die Seiten zu tauschen, damit sie den Kleinen nachher noch hinlegen können. Sie bedanken sich vielmals, der zuständige Stuard fürs Flugzeugende tut das gleiche. Nach einer Weile kommt eine weitere Stuardesse vorbei und meint, dass das ja wirklich nicht selbstverständlich, aber so unglaublich nett wäre. Naja ich finde schon, dass das selbstverständlich ist, bin daher also noch mehr überrascht, als auf einmal die Service-Leiterin zu mir kommt und mir ein Essen und Getränk aufs Haus anbietet. Ich bin ganz verwirrt und bekomme einen tollen Caesar Salat und ein Bier, zusammen fast im Gegenwert von einem Viertel meines Reisepreises. Aber dass man eine, doch vor allem in den skandinavischen Ländern selbstverständliche Handlung so großzügig entlohnt finde ich dann wirklich beeindruckend.

 

Meine weitere Reise verläuft problemlos, nur finde ich es erstaunlich, dass man im Stockholm zwangläufig am Infoschalter sein Gate für den Weiterflug erfragen muss, wenn man nicht zufällig im gleichen Terminal ankommt. Ich bin darüber so erstaunt, dass ich die Servicemitarbeiterin frage, wo die Infotafel ist, die ich verpasst habe, aber die gibt es nicht. Dafür bekommt man aber in den Waschräumen kostenlose Papptrinkbecher. Und noch eine weitere Besonderheit fällt mir an diesem Flughafen auf: er ist der erste, den ich sehe, der Wickeltische bei den Männertoiletten angeschrieben sind. Natürlich passt das zu meinem Vorwissen, dass es hier einen guten Anteil Männer gibt, die bis zu 16 Monate vom Job unterstützt werden um sich um ihr Baby zu kümmern, aber trotzdem finde ich es toll.

 

Im Verlauf der nächsten Tage putzt sich der Norden Schwedens mit herrlichem Wetter heraus. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich in Schweden meiner Haut so viel Vorbereitung auf Asiens Höhenlagen zukommen lassen kann. Wir gehen sogar zwei Mal baden. Im Meer auf Holmön benötigt dass noch eisernen Willen für eisiges Wasser, aber am Montag Mittag scheint uns die Sonne am See gleich außerhalb Umeas uns so lange kräftig auf den Pelz, dass wir dankbar sind über das kühle Nass vor dem Hintergrund von Bilderbuch Landschaft.

 

Vom ersten späten Abend an werde in Jackies Freundeskreis eingeführt. Hauptsächlich tummeln sich hier Erasmus Austauschstudenten. Da für diese nach und nach ihre Zeit hier zu Ende geht, wird viel zusammen unternommen. Beim Pizza-back-Abend an meinem ersten Tag hier, übernehme ich irgendwie die Leitung des rechten Teils der Küche. Über 30 Leute haben sich in der 8er WG im Studentenwohnheim eingefunden und zu Beginn versuchen sich 12 Leute gleichzeitig am Pizza machen. Nach und nach sind Überblick und Struktur umso mehr nötig (denn die Pizzen werden in den beiden Öfen in Doppelschicht gebacken) und auch Laktoseintolleranz und Veganismus werden auf Pizzastücken berücksichtigt. Den Großteil des Abends verbringe ich in der Küche, dass geschäftige Treiben um mich mit zum Teil geschrieenen Konversationen ist mir so angenehmer. Jackie reisst sich spät am Abend nur schwerlich los, aber wir wollen morgen auf eine Insel ein Stückchen nördlich von hier und sollten uns für die Planung heute Abend und morgen früh noch Kapazitäten übrig lassen, denn um 10 sind wir mit einer Psychologiestudentin verabredet, bei der wir an einer Studie teilnehmen werden.

 

Nach Holmön gibt es eine kostenlose Fähre. Jackie sammelt Informationen über das zur Zeit einzig offene Hostel und die ungefähren Busverbindungen. Dann machen wir uns auf ins Abenteuer. Mit durchfragen kommen wir in den richtigen Bus, steigen gute zwei Stunden später an der richtigen Stelle aus, fragen bei der Postfiliale im Supermarkt nach der Anschlussverbindung und bekommen einen Busfahrplan ausgedruckt. In der Zwischenzeit kaufe ich Brot, und zwei landestypisch anmutende Aufstriche für das Vesper an der Bushaltestelle. Der zweite Busfahrer erlaubt uns auch, Jackies Fahrrad weiter mit zu nehmen, aber Fahrscheine zahlen müssen wir hier nicht, denn er hat seine Abrechnungsmaschine vergessen, sagt er. Gute 20 Minuten später setzt er uns beim winzigen Fährhafen ab. Dafür, dass Jackie das Ganze nicht wirklich geplant hat ist es bisher beeindruckend glatt gelaufen. Auch auf die Fähre darf das Fahrrad mit uns 10 Minuten später schippern wir los. Auf Holmön angekommen ist Jackies Handy fast tot. Wenn wir es jetzt nicht schaffen das eine Hostel zu erreichen, dann können wir wenigstens in 2h die Fähre zurück nehmen, denn leider hat Jackie nur die Telefonnummer (wobei sie sich nicht sicher ist, ob die nicht eine Nummer zu kurz ist) aber nicht die Adresse der Unterkunft und ein Einheimischer meint auf Nachfrage, es hätte noch kein Hostel offen. Mit der Fähre zurück als Sicherheit stresse ich weder mich noch Jackie und sie ist selbst überrascht, als sie dann doch noch das Hostel erreicht, eine Wegbeschreibung bekommt und wir dann zweitgleich mit einer Frau Anfang 50 vor dem wunderschönen zweistöckigen Prästgarden stehen. Die nette Frau entschuldigt sich für die Hinterlassenschaften vom Großputz vom Tag zuvor und bekommt jeweils 200 Kronen ( etwas über 20€) von uns für die Nacht. Und dann lässt sie uns alleine. Einen Schlüssel für das Haus brauchen wir nicht und wenn wir auf Erkundung über die Insel gehen, dann können wir unsere Wertsachen in kleinen Spinten gegen eine Pfandmünze einschließen. Jackie und ich können unser Glück kaum glauben. Unser Wagemut wurde mit unserem eigenen schwedischen Holzhaus mit Balkon und dreifachverglasten Fenstern, Sauna (!) im Keller und hervoragend eingerichteter Küche mit Induktionskochfeldern belohnt. Wir gehen von Zimmer zu Zimmer um das Schönste zu finden, bestaunen die Aussicht und können unser Glück immernoch nicht fassen. Noch am Abend erkunden wir die Umgebung, finden eine Windmühle und einen Schafstall, der früher einmal ein riesiges Gewächshaus war. Jetzt hängen die Plastikplanen in Fetzen und man könnte sorfort anfagen einen Thriller oder Horrorfilm hier zu drehen. Nach unserer Rückkehr nutzen wir die herrliche Küche und wärmen währenddessen die Sauna vor. Interessanterweisen sind hier nicht nur die Toiletten sondern ach die Duschen Unisex und ich frage mich, wie prüde Inselbewohner aus unserer Wahlheimat bei vollem Haus darauf reagieren.

Am nächsten Tag strahlt die Sonne. Wir frühstücken draußen, bleiben dann auf der Veranda sitzen, lesen und ich kann nicht umhin ein wenig Yoga zu machen. Der Wind kommt erst gegen Nachmittag auf als wir kurz später sowieso zusammen packen um noch einen Waldspaziergang mit Seebad zu machen, bevor wir auf die Fähre gehen. Wir genießen die Auszeit in der Natur in vollen Zügen. Das Meer ist zwar kalt, aber die Kulisse aus Steinen, Felsen, Wald und keiner Menschenseele weit und breit macht das mehr als wett. Gut das unsere Batterien voll aufgetantk sind, denn als wir von der Fähre steigen kommt kein Bus. Den Busfahrplan haben wir zwar, aber das hilft wenig, wenn der Bus trotzdem nicht kommt. Bis in die Stadt zu unserem Bus nach Umea sind es 12 Kilometer. Gott bin ich jetzt froh, dass Jackie ihr Fahrrad unbedingt mitnehmen wollte. Die Hügel laufen wir, sonst fahrn wir abwechselnd und das ältliche Gefährt macht sich erstaunlich gut. Früher hätte mich so eine Situation sehr gestresst, jetzt denke ich mir, dass es in Schweden im Sommer zum Glück lange hell ist, dass es nicht regnet und die Sicherheitslage für zwei Mädels leicht verloren im Wald auch keinerlei Problem darstellt. Als wir dann gleich einen Überlandbus bekommen und dann der LIDL vor Jackies Haustür in Sicht kommt, da muss ich zugeben, dass ich mich noch nie so über den Anblick eines LIDLs gefreut habe.

 

Umeas Stadtbild ist geprägt von Birken und die Nadelbäumen scheinen sich brav alle im Wald versammelt zu haben. Sogar die Bushaltestellen werden mit dem typischen Birkenstreifenmuster verziert. Später beim Kaffe vor meinem Abflug erklärt Jackie mir, dass Umea die schwedische Stadt der Birken ist, das erklärt dann auch die Bushaltestellen. Insgesamt scheint man in Umea der Natur auch in der Stadt nahe sein zu wollen. Ob die vielen Hunde, die man sieht, auch damit zu tun haben weiß ich nicht. Aber man hat in jedem Fall eineFußgängerunterführung mit Waldgeräuschen und interaktiven Wandmodulen gebaut. Auch spät nachts strahlt diese ein angenehm helles, leicht grünliches Licht aus und durch die großzügige Gestaltung hat dieser Tunnel wirklich gar nichts von versiffter Bahnunterführung, durch die man nachts besser nicht läuft. Durch diesen Tunnel geht es an einem Abend zu einem herrlichen Coverkonzert, bei dem ich abgesehn von den Menschen auf der Bühne, eine der wenigen zu sein scheine die The XX, The Temper Trap und Of Monster and Men kennt. Danach sitzt man noch nett auf einem Schiff zusammen während die um uns sitzenden Konzertbesucher Bier für 6€ das Glas erstehen.

 

Auf den 20 Kronen Scheinen findet sich Selma Largerloffs Nils Holgerson und seine Wildgänse. Die Gänse selbst sind überraschend groß und stehen im Moment auf den Feldern. Sie wirken sehr elegant und bei meinen beiden Zugfahrten kann ich beinahe nachvollziehen wie man auf die Idee kommt diese tolle Landschaft mit diesen Tieren in eine Geschichte zu packen.

 

Man spricht den nordischen Völkern eine Unterkühltheit und Zurückhaltung zu die ich beim besten Willen nicht feststellen kann. Und das trifft auf Alt und Jung zu. Und wann immer ich mit einem entschuldigenden „sorry“ Antworte wird ansatzlos ins Englische gewechselt. Da entstehen angeregt Gespräche aus neugierigen Fragen in der Bahn und an der Supermarktkasse. Keiner scheint es einem Übel zu nehmen wenn man nicht mehr als „Tack“ sagen kann und man ist begierig seine Sprachkenntnisse zu erproben. Irgendwas muss hier in den Schulen richtig gemacht werden. Auch sonst, Schweden hat Flair und ich verstehe, wie mein Vater Gefallen an diesem Land finden konnte, als er vor über einem Jahrzehnt auf Geschäftsreise hier war.

Essen ist wie immer auch sehr hilfreich um mehr in eine Kultur einzutauchen. Hier stehen Kaviermaschinen an der Kasse bei LIDL. Die Auswahl an Krabbensalaten, Fischzubereitungen und verschiedenste Arten Meeresgetier ist auch in kleinen Supermärkten beeindruckend. Und Süßzeug können sie auch richtig gut. Vor allem das Backwerk mit Marzipanboden, einer Schokoladencremefüllung mit dunkler Schokoüberzug mit Diam Stücken hat es mir angetan. Oder schwedische Schokolade mit Diam Stücken. Schweden fährt im Moment ganz eindeutig auf Diam ab. Und ein Trinkjoghurt darf auch nicht fehlen.

Was uns sonst noch auffällt, ist dass Nahrungsmittel in erstaunlich großen Einheiten verkauft werden. 500g Butterstücke, 2kg Mehl, die kleinste Eierschachtel hat 10 Eier. Ganz schlüssig ist nicht, warum das so ist. Natürlich gibt es hier einige Ecken in denen es sich schon richtig lohnen muss einkaufen zu fahren. Und wenn man eingeschneit ist hilft es wohl auch, wenn im Mehlpacket grundsätzlich mehr drin ist. Wie auch in Amsterdam bewegt man sich hier sehr viel mit dem Fahrrad. Aber im Gegensatz zu Amsterdam sieht man hier auch beleibtere Menschen. Allerdings doch so selten, dass es einem auffällt, dass ist dann doch ganz anders in Schottland. Es scheint also, dass die großen Portionen hier im Allgemeinen nicht schädlich sind.

 

Die Preise im Studentenwohnheim kann man nur als fair bezeichnen. Sogar den Waschsalon inclusive Trockner (die aussehen wie industrielle Backöfen) kann man umsonst nutzen. Herrlich! Denn das Regenwetter in Amsterdam hat mich meine mitgebrachten Kleidungsstücke Schicht über Schicht tragen lassen und während bis auf zwei Stücke alles in der Trommel sausst, sitze ich in Jackies Klamotten da.

Insgesamt ist mir Schweden ungemein sympatisch und ich werde der Information über kostenlose Masterprogramme nachgehen müssen. Es gibt Länder und Mentalitäten mit denen kann man auf Anhieb und so ist das bei mir mit Schweden.

 

Bei einem meiner Ausflüge schaffe ich es allerdings mir noch eine Narbe von meinem Besuch hier abzuholen. Die erste Surferwelle in einem Schwimmbad ein Europa gibt es hier, da muss ich hin! Ein hübsches Schwimmbad mit toller Saunalandschaft und um 10Uhr darf ich mich erst mit dem Body Board, dann mit dem Surfboard versuchen. Das Wasser schießt über einen Hügel und das erzeugt genügend Widerstand. Ich habe Spaß, auch meine ersten Body Board Versuche klappen überraschend gut. Nur dann beim letzten Durchgang mit dem Surfboard, mit schon etwas ermüdeten Muskeln, da falle ich. Auf dem Hügel. Mit der linken Gesichtshälfte. Als ich aufsitze checke ich, ob noch alle Zähne drinnen sind, das ja, aber mir rinnte das Blut durch die Finger. Ich habe einen tieferen Schnitt auf der Innen und einen auf der Außenseite meiner Unterlippe, die Oberlippe ist böse geschwollen, ich sehe schlimmer aus als bei jedem Trainingsunfall beim Krav Maga. Die Blicke der Mitmenschen erleichtern mir die Entscheidung nie eine Beziehung einzugehen in der ich geschlagen werde, abgesehn davon, dass so etwas im Gesicht mies weh tut. Nach einer guten Weile auf der Krankenstation gehe ich hoch zur Saunaabteilung, die haben zum Glück eine Eismaschine. Also drücke ich mir einen Klumpen Eis aufs Gesicht wärhend die Hitze in der Saune meine vom Fall stark verkrampften Nackenmuskeln lockern. Die Narbe, die zurück bleibt, sieht aus wie der Biss eines Hais, ist aber so klein, dass sie fast vollkommen im Schatten der Unterlippe verschwindet. Eine gute Narbe für einen Surfer, scheint mir.

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